Dass Vitamin D3 wichtig für eine funktionierende Immunabwehr ist, ein Vitamin-D3-Mangel generell anfälliger für Virusinfektionen machen kann und es Hinweise auf eine Korrelation zwischen Vitamin-D3-Mangel und erhöhtem Risiko für eine COVID-19-Infektion gibt, wurde in Teil 1 Vitamin D3 und COVID-19-Infektionen: Was ist wissenschaftliche belegt? zusammengefasst. Allerdings handelte es sich um reine Beobachtungsstudien, so dass nach wie vor nicht eindeutig bewiesen ist, ob der Biofaktor Patienten nach einer COVID-19-Erkrankung schneller genesen lässt oder sogar die Sterberate beeinflussen kann.
„Ergebnisse von Beobachtungsstudien über den potentiellen Nutzen von Vitamin D3 auf eine Erkrankung mit dem Sars-CoV-2-Erreger müssen zurückhaltend bewertet werden“, warnt Prof. Hans Georg Classen, Vorsitzender der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB). Menschen mit einer ausreichenden Vitamin-D3-Versorgung leben möglicherweise insgesamt gesünder, was in Summe einen Einfluss auf die Schwere einer COVID-19-Infektion haben könnte. Auf der anderen Seite leiden vor allem ältere Menschen – bekanntermaßen Risikopatienten für einen schwereren Verlauf einer COVID-19-Infektion – häufiger unter einem Vitamin-D3-Mangel als Jüngere, gelten aber insgesamt auch als schlechter ernährt und mit essentiellen Biofaktoren versorgt. „Im Zuge des Alterungsprozesses nehmen Verdauungs- und Resorptionsleistung des Magen-Darm-Trakts ab, während gleichzeitig alimentär weniger essentielle Biofaktoren aufgenommen werden“, betont Prof. Classen.
Mentale Defizite, Kau- und Schluckbeschwerden oder eine verminderte Durst- und Geschmackswahrnehmung begünstigen einen Biofaktorenmangel bei Senioren – mit dem Ergebnis, dass die Zufuhr der meisten Biofaktoren unterhalb der D-A-CH-Referenzwerte liegt.1,2 Besonders betroffen ist neben dem erhöhten Risiko für einen Vitamin-D3-Mangel die Versorgung mit den Mineralstoffen Kalzium und Magnesium sowie den Vitaminen C, B12 und Folsäure.
Vitamin D3 und COVID-19: Interventionsstudien sind aussagekräftiger
Daher sind wissenschaftliche Untersuchungen mit einem anderen Studiendesign – sogenannte Interventionsstudien – interessant, in denen der Effekt einer Supplementierung mit dem Biofaktor Vitamin D3 auf Verlauf und Schwere einer Infektion mit Sars-CoV-2 geprüft wird. Bei den bisher durchgeführten Interventionsstudien konnten allerdings wie bei den reinen Beobachtungsstudien unterschiedliche Ergebnisse erzielt werden.
Die im Oktober 2020 publizierte und viel zitierte Córdoba-Studie konnte einen positiven Effekt einer Vitamin-D3-Gabe für COVID-19-Patienten feststellen. 50 von 76 COVID-19-Erkrankte erhielten zusätzlich zur normalen Therapie Calciferol und nur einer musste intensivmedizinisch behandelt werden. Von den 26 aus der Vitamin-D3-freien Kontrollgruppe war dies bei 13 Patienten der Fall und zwei Erkrankte starben.3 Allerdings litten Patienten der Kontrollgruppe zweimal häufiger an Hypertonie und dreimal häufiger an Diabetes mellitus – bekanntermaßen Risikofaktoren für einen schwereren Infektionsverlauf. Diese das positive Ergebnis einschränkende Korrelation wurde jedoch im November 2020 von Mathematikern der Universität Yale statistisch nochmal überprüft – mit dem Ergebnis, dass das geringere Risiko für eine intensivmedizinische Behandlung nicht mit den Vorerkrankungen, sondern doch mit der Vitamin-D3-Supplementierung verknüpft sei.4
Ganz anders das Ergebnis einer brasilianischen Studie, die ebenfalls im November 2020 veröffentlicht wurde: Bei 240 Patienten mit schwerem COVID-19-Verlauf, von denen 120 eine einmalige Vitamin-D3-Dosis von 200.000 IE erhielten, wirkte sich die Supplementierung nicht auf Klinikaufenthalt, Sterblichkeit und Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Beatmung aus.5
Auch die Fachgruppe COVRIIN am Robert-Koch-Institut hat das Studienmaterial einer Vitamin-D3-Supplementierung – neben den Ergebnissen für antiviral wirksames Remdesivir, antiinflammatorische Substanzen Dexamethason und Cortison, Antikoagulantien und andere im Zusammenhang mit COVID-19 stehende Substanzen wie Chloroquin – bewertet und keine Zulassungsempfehlung erteilt: „Außerhalb von kontrollierten Studien kann bisher keine Empfehlung zur Verwendung von Vitamin D3 zur Therapie oder Prophylaxe von SARS-CoV-2-Infektionen gegeben werden“, so das offizielle Statement von COVRIIN von Januar 2021.6
Allerdings bestätigt die Fachgruppe, dass es Hinweise für ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf bei Vitamin-D3-Mangel, Hinweise auf ein reduziertes Risikos für Intensivpflichtigkeit unter Vitamin-D3-Substitution und Hinweise auf schnellere Viruselimination unter Vitamin-D3-Supplementierung bei vorliegendem Vitamin-D3-Mangel gibt. Aufgrund der bisher veröffentlichten Ergebnisse empfiehlt COVRIIN daher eine Vitamin-D3-Substitution bei Patienten mit nachgewiesenem oder vermutetem Mangel, bei denen ein erhöhtes Risiko für COVID-19 besteht oder bereits eine COVID-19-Erkrankung vorliegt und bei kritisch kranken Patienten eine Substitution bei nachgewiesenem Vitamin-D3-Defizit (≤ 30 nmol/l) entsprechend Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und den aktuellen Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.
COVID-19 und Vitamin D3: Weitere Untersuchungen sind nötig
Bereits die kleine Auswahl der hier erwähnten Studien zeigt, wie unterschiedlich die Ergebnisse zu Vitamin D3 und COVID-19 sind. Viele Studien sind Beobachtungsstudien, die auf eine Korrelation hinweisen, aber einen kausalen Zusammenhang nicht belegen können. Auch die bisher veröffentlichten Interventionsstudien zeigten keine eindeutigen Ergebnisse. „Für eine generelle Empfehlung einer Vitamin-D3-Supplementierung bei COVID-19 fehlt es weiterhin an großen und gut designten Interventionsstudien“, fasste auch Prof. Classen die momentane Situation zusammen.
Allerdings sollte aufgrund der positiven Wirkungen des Biofaktors auf das Immunsystem und der Tatsache, dass über 60 % der Bevölkerung nicht ausreichend versorgt sind, ein Vitamin-D3-Mangel generell vermieden und durch gezielte Supplementierung ausgeglichen werden. Empfohlen werden 800 bis 1.000 IE Vitamin D3 täglich, bei anhaltendem Mangel oder Patienten mit Resorptionsstörungen sind höhere Vitamin-D3-Dosen, mitunter bis zu 4.000 IE, nötig.
Insbesondere in der dunklen Jahreszeit, die bekanntermaßen ein Risiko für die Entwicklung eines Vitamin-D3-Mangels darstellt, ist die optimale Vitamin-D3-Versorgung zur Stärkung der körpereigenen Immunabwehr, besonders bei älteren Menschen in Pflegeheimen und Krankenhäusern, nach Meinung der GfB zu gewährleisten.
Weitere Informationen zu den hier genannten und anderen Biofaktoren finden Sie hier.
Besteht die Möglichkeit, dass Sie unter einem Mangel an den hier genannten Biofaktoren leiden? Machen Sie den Biofaktoren-Check und finden Sie Ihr persönliches Risiko heraus.
Literatur:
- D-A-CH Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Auflage, 1. Ausgabe 2015 www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/
- Heseker H et al. DGE, Ernährungsbericht 2008
- Castillo ME et al.: Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: A pilot randomized clinical study. J Steroid Biochem Mol Biol 2020 Oct, 203. DOI: 10.1016/j.jsbmb.2020.105751
- Jungreis I, Kellis M: Mathematical analysis of Córdoba calcifediol trial suggests strong role for Vitamin D in reducing ICU admissions of hospitalized COVID-19 patients. medRxiv preprint BMJ Yale. DOI: doi.org/10.1101/2020.11.08.20222638, November 12, 2020
- Murai IH et al.: Effect of vitamin D3 supplementation vs placebo on hospital length of stay in patients with severe COVID-19: A multicenter, double-blind, randomized controlled trial. medRxiv preprint DOI: doi.org/10.1101/2020.11.16.20232397, November 17, 2020
- www.rki.de/COVRIIN_Dok/Therapieuebersicht/