Auf dem diesjährigen Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren (GfB) wiesen namhafte Experten aus der internistischen, geriatrischen und neurologischen Praxis in einem Konsens darauf hin, wie wichtig es für die tägliche Arbeit an dem Patienten ist, über ein Biofaktoren-Basiswissen zu verfügen. Die Beurteilung des Biofaktorenstatus im Rahmen einer umfassenden Patientenbetreuung ist nach Ansicht der Mediziner unverzichtbar, da zahlreiche Beschwerdebilder und Erkrankungen mit einem Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen assoziiert sein können.
Insbesondere ältere Menschen zählen zu den Risikogruppen für einen Biofaktoren-Mangel1,2 und Studien zufolge liegt die Zufuhr der meisten Biofaktoren bei Senioren unterhalb der D-A-CH-Referenzwerte.3 „Verminderte Durst- und Geschmackswahrnehmung, Kau- und Schluckstörungen, mentale Defizite, Resorptionsstörungen, chronische Erkrankungen oder Arzneimittelinteraktionen begünstigen ein Biofaktoren-Defizit“, warnte auch Frau Prof. Dr. med. Marija Djukic, Fachärztin für Neurologie, Neurologische Geriatrie und leitende Oberärztin Geriatrie des Evangelischen Krankenhauses in Göttingen auf dem GfB-Symposium.
Der Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen kann vielfältige internistische, neurologische und psychiatrische Symptome beim älteren Menschen hervorrufen „Insbesondere Herz-Kreislauferkrankungen, Osteoporose, Polyneuropathie, Depressionen sowie neurodegenerative Krankheiten wie Demenz oder Hirn-organisches Psychosyndrom können laut aktueller Studienlage mit einer Unterversorgung an Biofaktoren in Zusammenhang stehen“, betonte Prof. Djukic und stellte insbesondere die ungenügende Versorgung vieler Senioren mit den Biofaktoren Vitamin B12 und Vitamin D3 heraus.
Biofaktorenmangel bei Senioren: An die Vitamine B12 und D3 denken
Rund ein Drittel der Menschen über 65 Jahre sind von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen, bei den über 85-Jährigen sind es 37,6 %,4 bei Senioren in stationären Pflegeheimen sogar 40 %.5 Neben der klassischen Vitamin-B12-Mangelkrankheit, der makrozytären Anämie, kann es bei ungenügender Versorgung mit dem Biofaktor zu funikulärer Myelose, Polyneuropathie, Demenz und organischem Psychosyndrom kommen.
Auch die Vitamin-D3-Versorgung älterer Menschen wird als kritisch gesehen. Ab dem 60. Lebensjahr nimmt die körpereigene Vitamin-D3-Synthese über die Haut ab und Leber- und Nierenleistung sinken, so dass weniger aktives Vitamin D3 gebildet werden kann. Zudem sind viele Senioren pflegebedürftig und immobil und halten sich daher seltener im Freien auf, so dass die endogene Synthese über die Haut weiter reduziert ist.6 Ein Vitamin-D3-Mangel – 25(OH)D) < 70 nmol/l – steht nicht nur in Zusammenhang mit der Entwicklung einer Osteoporose, sondern mit diversen anderen Krankheiten im Alter. Hierzu zählen kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt und Schlaganfall, Krebserkrankungen, neurodegenerative Krankheiten wie Morbus Alzheimer oder Morbus Parkinson sowie autoimmune und entzündliche Krankheiten.
Der Biofaktor Magnesium in der internistischen Praxis: Welche Patienten sind von einem Mangel betroffen?
„Nicht nur die ungenügende alimentäre Aufnahme, auch Malabsorptionssyndrome aufgrund chronischer Darmerkrankungen und Arzneimittelinteraktionen können ein Magnesiumdefizit auslösen“, warnte Prof. Klaus Kisters, Chefarzt der Medizinischen Klinik I, St. Anna Hospital in Herne auf dem GfB-Symposium. Zusätzlich sind viele Erkrankungen bekannt, bei denen pathophysiologisch ein Magnesiummangel beteiligt sein kann. Hierzu zählen insbesondere Diabetes mellitus und kardiovaskuläre Erkrankungen wie Hypertonie, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen oder Arteriosklerose, so dass bei betroffenen Patienten grundsätzlich auch an einen Magnesiummangel gedacht werden muss.
Normale Serumwerte schließen Magnesiummangel nicht aus
Nur etwa 1 % des Körperbestandes an Magnesium befindet sich im Blut – und 60 % in den Knochen und 39 % in Muskeln und Organen. Im Magnesiummangel setzt der Organismus den Biofaktor aus Knochen oder Muskelzellen frei, um den Magnesiumserumgehalt konstant zu halten.
Die Labordiagnostik eines Magnesiummangels ist hierdurch erschwert, dennoch werden als Zielgrößen für Magnesium 0,8 mmol/l im Serum, besser aber 0,85 mmol/l7,8 definiert. Hilfreich ist die Messung von ionisiertem Magnesium, dem eigentlich aktiven Magnesium. Häufig ist das ionisierte Magnesium bereits erniedrigt, während die Serumspiegel noch im Normbereich sind. Generell sollte neben der Laboranalytik aber auf die Patienten-Anamnese und Mangelsymptomatik9 geachtet werden.
Zur Substitution werden 300 bis 500 mg Magnesium pro Tag empfohlen – im Einzelfall auch höher – und organische Magnesiumverbindungen in oraler Form sind aufgrund der besseren Bioverfügbarkeit zu bevorzugen. Zu berücksichtigen ist zudem, dass Vitamin D3 und Magnesium synergistisch wirken.10 „Aufgrund des Synergismus der beiden Biofaktoren sollte nicht nur der Magnesiummangel vermieden, sondern auch auf eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D3 geachtet werden, um Folgeschäden zu reduzieren und die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen“, so Prof. Kisters.
Nerven brauchen B-Vitamine
Der Neurologe Prof. Karlheinz Reiners ging auf dem GfB-Symposium auf die Bedeutung der B-Vitamine für das Nervensystem ein und stellte insbesondere die Folgen eines Mangels der Vitamine B1 (Thiamin) und Vitamin B12 heraus.
Ein Vitamin-B1-Mangel führt zu Störungen im Kohlenhydratstoffwechsel. Da das Nervengewebe auf die Bereitstellung ausreichender Energie aus dieser Quelle angewiesen ist und keine nennenswerten Reserven anlegt, kann sich ein Mangel schnell auswirken – und sowohl die Hirnfunktion als auch die Erregungsleitung in den peripheren Nerven betreffen. „Das periphere Nervensystem reagiert auf einen Vitamin-B1-Mangel mit der Entwicklung einer Polyneuropathie, die sich durch Empfindungsstörungen insbesondere in den Füßen, wie Kribbeln, Brennen und Taubheitsgefühl sowie neuropathische Schmerzen bemerkbar macht“, warnte Prof. Reiners. Von besonderer Relevanz ist dies für Patienten mit Diabetes mellitus, die sowohl ein erhöhtes Risiko für einen Vitamin-B1-Mangel als auch für die Entwicklung einer Neuropathie haben.11
Zur oralen Therapie steht mit der fettlöslichen Vitamin-B1-Vorstufe Benfotiamin eine gegenüber den wasserlöslichen Thiamin-Salzen 5-fach besser bioverfügbare Substanz für die Supplementierung zur Verfügung.
Hirn- und Nervenfunktionen durch Vitamin-B12-Defizit beeinträchtigt
Im Vitamin-B12-Mangel zeigen sich Störungen in der Nervenzellfunktion sowohl im Hirn als auch der Nervenleitung in Rückenmarksbahnen und in den peripheren Nerven, besonders in der Funktion der sensiblen Nervenfasern. Die Konsequenz des Vitamin-B12-Mangels ist daher vor allem eine sensible Störung, die sich sowohl in der Oberflächenwahrnehmung als auch in der sogenannten Tiefensensibilität zeigt, so dass Missempfindungen und Gangunsicherheit bis hin zu einer schweren Ataxie die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. „Die Therapie des Vitamin-B12-Mangels ist durch die Verfügbarkeit der hochdosierten oralen Form mit 1.000 µg pro Tablette erheblich erleichtert worden, die eine vom Intrinsic-Faktor unabhängige Aufnahme durch passive Diffusion im gesamten Dünndarm ermöglicht und von den meisten Patienten der in der Regel lebenslang notwendigen parenteralen Substitution vorgezogen wird“, so Prof. Reiners.
Biofaktoren-Mangel des Patienten vermeiden
Sich Basiswissen im Bereich Biofaktoren-Mangel anzueignen, ist nach Meinung der Experten für jeden Therapeuten in der umfassenden Patienten-Betreuung ein Muss. „Um eine Unterversorgung lebenswichtiger Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente nachweisen zu können, sollte in der täglichen Praxis die Aufmerksamkeit auf die drei Säulen Patienten-Anamnese, klinische Symptomatik und Labordiagnostik gelegt werden“, fasst Prof. Hans Georg Classen, Vorsitzender der GfB das diesjährige Symposium zusammen. So kann durch Nachweis eines Biofaktoren-Defizits und deren zielgerichtete Supplementierung der Mangel ausgeglichen und mangelbedingten Erkrankungen entgegengewirkt werden.
Quelle:
- Online-Fach-Symposium der Gesellschaft für Biofaktoren e.V.: „Basiswissen Biofaktoren-Mangel. Kasuistiken, wissenschaftliche Erkenntnisse und fundierte Praxistipps“ am 16. Juni 2021.
Literatur:
- Heseker H et al.: ErnSTES-Studie, in DGE: Ernährungsbericht 2008, 157 - 204
- Max Rubner-Institut (MRI): Nationale Verzehrsstudie II. Ergebnisbericht, Teil 2. Karlsruhe, 2008. www.mri.bund.de/fileadmin/MRI/Institute/EV/NVSII_Abschlussbericht_Teil_2.pdf, S. 123 - 124
- D-A-CH Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, 2. Auflage, 1. Ausgabe 2015. www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/
- Conzade R et al.: Prevalence and predictors of subclinical micronutrient deficiency in german older adults: results from the population-based KORA-Age Study. Nutrients 2017, 9: 1276
- Andrès E et al.: Vitamin B12 deficiency in elderly patients. CMAJ 2004, 171(3): 251 - 259
- Biesalski HK: Ernährungsmedizin 2018, Stuttgart: Thieme Verlag, S. 177
- Spätling L et al.: Diagnostik des Magnesiummangels. Aktuelle Empfehlungen der Gesellschaft für Magnesium-Forschung e. V.. Fortschritte der Medizin 2000, 118: 49 - 53
- Workinger JL et al.: Challenges in the diagnosis of magnesium status. Nutrients 2018, 10: 1202 ff
- Ausführliche Informationen zu Magnesium erhalten Sie unter www.gf-biofaktoren.de.
- Gröber U, Schmidt J, Kisters K: Magnesium in prevention and therapy. Nutrients 2015, 7: 8199 - 8226
- Reiners K, Haslbeck M: Sensomotorische diabetische Neuropathien. Diabetologe 2016, 2: 92 - 103