Welche Vitamine bei Tumorerkrankungen? An Vitamin C denken.

Seit Jahren ist eine Anwendung von intravenös verabreichtem Vitamin C in der Komplementärmedizin bekannt – allerdings in deutlich höheren Dosen als von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfohlenen Tagesdosis von 95 mg für gesunde Frauen und 110 mg für gesunde Männer.1 Hier geht es im Gegensatz zur DGE-Empfehlung keinesfalls um den Ausgleich eines potentiellen Vitamin-C-Mangels, sondern um den Nutzen pharmakologischer Effekte des Biofaktors auf das Tumorgeschehen.

Wie lässt sich der Wirkmechanismus erklären?

In pharmakologischen Dosen und intravenös verabreicht, wirkt Vitamin C nicht antioxidativ, sondern prooxidativ, wodurch Verbindungen wie beispielsweise zellschädigende Peroxide entstehen können. Diese prooxidativen Eigenschaften sollen sich therapeutisch gegen Tumorzellen richten, da Tumorzellen freie Radikale weniger effektiv im Vergleich zu normalen Zellen neutralisieren können. Man geht also von einer selektiv zytotoxischen Wirkung von hochdosiertem Vitamin C auf Krebszellen aus. „Aufgrund deutlicher pharmakokinetischer Unterschiede erzeugt Ascorbat intravenös, aber nicht oral, millimolare Konzentrationen sowohl im Blut als auch im Gewebe, wodurch Krebszellen abgetötet werden, ohne normales Gewebe zu schädigen. In der interstitiellen Flüssigkeit, die Tumorzellen umgibt, üben millimolare Konzentrationen von Ascorbat lokale prooxidative Wirkungen aus, indem sie die Bildung von Wasserstoffperoxid vermitteln, das Krebszellen abtötet“, so ein Zitat aus einer Veröffentlichung zum potentiellen Nutzen von Vitamin C bei Eierstockkrebs.2

Vitamin C und Krebs – wie ist die wissenschaftliche Datenlage?

Tierexperimentelle Studien und Untersuchungen an Zellkulturen zeigen tatsächlich vielversprechende Ergebnisse. In Experimenten an Tieren führte intravenös verabreichtes, hochdosiertes Vitamin C zu einer Verringerung des Tumorvolumens und zu einer Hemmung des Tumorwachstums.3,4 Bei Behandlung von Krebszellen in Kulturen konnte der Biofaktor in hohen Dosen die Zellproliferation hemmen oder zum Zelltod führen.5

Zudem konnte – wie bereits erwähnt – nachgewiesen werden, dass die Effekte von oral und parenteral verabreichtem Vitamin C nicht vergleichbar sind. Oral erreichte Konzentrationen blieben physiologisch und ließen eine pharmakologische Wirkung vermissen. Beispielsweise konnte im Mausmodell die parenterale Verabreichung des Biofaktors die Wachstumsrate eines Hepatoms verringern, die orale Verabreichung der gleichen Dosis hingegen nicht.6 Allerdings wird in dieser Publikation auch kritisch angemerkt, dass weder der Wirkmechanismus zur selektiven Toxizität von pharmakologischem Ascorbat gegen Krebszellen noch der zur Wasserstoffperoxid -vermittelten Zytotoxizität vollständig verstanden sei.

Vitamin C in der Krebsbehandlung weiter umstritten

Anders sieht es im Hinblick auf klinische Studien aus. Es wurde überhaupt nur in wenigen klinischen Untersuchungen eine potentielle Wirkung von hochdosiertem Vitamin C bei Krebs geprüft und es gibt daher kaum validierte wissenschaftliche Daten bzw. die vorhandene Evidenz wird als gering bewertet.7,8,9

Infokasten II: Leitlinienprogramm Onkologie

Auch in der S3-Leitlininie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer Patienten10 heißt es „Es liegen keine ausreichenden Daten aus randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien zur Beurteilung der Wirksamkeit von hochdosiertem intravenösem Vitamin C vor, tumortherapeutisch oder in der Sekundärprävention das Gesamt- oder progressionsfreie Überleben zu verlängern oder die Toxizität bei onkologischen Patienten zu senken. Es kann keine Empfehlung für oder gegen die Anwendung von hochdosiertem intravenösem Vitamin C bei diesen Patienten gegeben werden.“

Das National Cancer Institute weist auf seiner Webseite allerdings darauf hin, dass die weitgehend älteren Studien zum einen zu geringe maximale Plasmakonzentrationen an Vitamin C erzielten und zum anderen eine sehr kurze mediane Gesamtdauer der Vitamin-C-Behandlung von etwas mehr als zwei Monaten aufwiesen. Letzteres lag daran, dass die Ascorbat-Verabreichung abgesetzt und auf eine traditionelle Chemotherapie gewechselt wurde, sobald der Patient Anzeichen einer Tumorprogression entwickelte.11 Dieser Aspekt gilt generell bei der Bewertung von klinischen Studien zum Thema Krebs zu berücksichtigen. Wann ist aus ethischen Gründen eine Interventionsstudie mit noch nicht ausreichend geprüften Therapien abzubrechen?

Neuere Erkenntnisse deuten laut dem National Cancer Institut darauf hin, dass Vitamin C in der komplementären Krebsbehandlung durchaus eine erneute Prüfung verdient.12 Mit der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen zur Ascorbat-Pharmakokinetik und seinen Wirkungsmechanismen gegen Tumorzellen sowie der zunehmenden Evidenz aus Fallstudien, dass eine Behandlung mit dem Biofaktor wirksam sein könnte, hat das Interesse von Ärzten und Wissenschaftlern wieder zugenommen.13 Voraussetzung sei allerdings eine intravenöse Vitamin-C-Verabreichung in ausreichend hohen Dosen, um die oben beschriebenen gewünschten pharmakologischen Effekte zu erzielen.

Wirkung von Vitamin C bei Krebs – eine systematische Bewertung

Im Dezember 2022 erschien eine Überprüfung von 30 Studien, die an knapp 39.000 Patienten mit verschiedenen Krebsarten durchgeführt wurden. Aufgrund methodischer Heterogenität war eine Metaanalyse nicht möglich, folgende Ergebnisse wurden dennoch publiziert:14

  • Hochdosiertes Vitamin C in Kombination mit einer Chemotherapie oder Bestrahlung war mit einem Gesamtüberleben von 182 Tagen bis zu 21,5 Monaten sicher.
  • Die alleinige orale oder intravenöse hochdosierte Vitamin-C-Supplementierung war mit nicht signifikanter Veränderung des Gesamtüberlebens von 2,9 bis 8,2 Monaten sicher.

Weiterhin zeigte eine systematische Überprüfung15 von zwei randomisierten kontrollierten Studien, 15 unkontrollierten Studien, sechs Beobachtungsstudien und 14 Fallberichten am Menschen, dass

  • intravenös verabreichtes Vitamin C (IVC) zu einer Verringerung der Tumormasse führen könnte,
  • IVC das Überleben in Kombination mit einer Chemotherapie verbessern könnte,
  • IVC die Lebensqualität, körperliche Funktion und Toxizität im Zusammenhang mit einer Chemotherapie verbesserten kann. Symptome wie Müdigkeit, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Verstopfung und Depression reduzierten sich.
  • Es wurde von mehreren Fällen einer Krebsremission unter einer Vitamin-C-Therapie berichtet.
  • Außerdem wird die Antitumorwirkung einer Gemcitabin/Erlotinib-Therapie oder von Paclitaxel und Carboplatin unter einer adjuvanten Vitamin-C-Behandlung nicht beeinträchtigt.

Die Vitamin-C-Dosierung reichte je nach Studie von einem bis zu mehr als 200 g Ascorbinsäure pro Infusion zwei- bis dreimal pro Woche.

Vitamin C bei Krebs – Fazit für die Praxis?

„Es gibt eine begrenzte, qualitativ hochwertige klinische Evidenz zur Sicherheit und Wirksamkeit von IVC. Die vorhandene Evidenz … weist … auf ein gutes Sicherheitsprofil und eine potenziell wichtige Antitumoraktivität hin. Es sind jedoch strengere Beweise erforderlich, um diese Wirkungen schlüssig nachzuweisen. IVC kann die Lebensqualität und die Schwere der Symptome von Krebspatienten verbessern, und es wurden mehrere Fälle von Krebsremission berichtet. Gut konzipierte, kontrollierte Studien zur IVC-Therapie sind erforderlich“, so das Statement der Autoren der hier zitierten Untersuchung.

Diese vorsichtige, aber dennoch positive Einschätzung wird von der Mehrzahl der Autoren bestätigt. Der Nachweis auf eine klinisch relevante Antitumorwirkung von Vitamin C bei Krebspatienten – und nicht bei Tieren oder in Zellkulturen – stütze sich nach wie vor weitgehend auf Fallberichte sowie Beobachtungs- und unkontrollierte Studien. Hochwertige Placebo-kontrollierte Studien seien nötig. Dass Vitamin-C-Infusionen bei Krebspatienten im Allgemeinen sicher und gut verträglich sind und bei der Symptomenbehandlung und Verbesserung der Lebensqualität nützlich sein können, fand hingegen eine deutlich breitere Zustimmung.16 Auch laut Ergebnissen neuerer Studien könnte hochdosiertes IVC im Rahmen der komplementären Onkologie als eine Therapie in Betracht gezogen werden, die die Lebensqualität der Patienten verbessert und krebsbedingte Symptome wie beispielsweise Müdigkeit, Knochenschmerzen oder Depressionen reduziert.17 Und wenn man abschließend die bereits zitierte S3-Leitlininie Komplementärmedizin in der Behandlung onkologischer Patienten berücksichtigt – „Es kann keine Empfehlung für oder gegen die Anwendung von hochdosiertem intravenösem Vitamin C … gegeben werden“ –, könnte eine entsprechende Behandlung mit dem Biofaktor durchaus praxisrelevant sein.

 

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Lesen Sie auch das Review:

J. Frank, K. Kisters, OA. Stirban, S. Lorkowski, M. Wallert, S. Egert, MC. Podszun, JA. Pettersen, S. Venturelli, HG. Classen, J. Golombek.:

The role of biofactors in the prevention and treatment of age-related diseases. Biofactors 2021, 47: 522-550, IF 6.113

iubmb.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/biof.1728

 

Literatur:


(1) www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/vitamin-c/ 

(2) Ma Y et al.: High-dose parenteral ascorbate enhanced chemosensitivity of ovarian cancer and reduced toxicity of chemotherapy. Sci Transl Med 2014 Feb 5; 6(222): 222ra18

(3) Parrow NL et al.: Parenteral ascorbate as a cancer therapeutic: a reassessment based on pharmacokinetics. Antioxid Redox Signal 2013 Dec 10; 19(17): 2141 - 2156

(4) Chen Q et al.: Pharmacologic doses of ascorbate act as a prooxidant and decrease growth of aggressive tumor xenografts in mice. Proc Natl Acad Sci USA 2008 Aug 12; 105(32): 11105 - 11109

(5) Chen Q et al.: Pharmacologic ascorbic acid concentrations selectively kill cancer cells: action as a pro-drug to deliver hydrogen peroxide to tissues. Proc Natl Acad Sci USA 2005 Sep 20; 102(38): 13604 - 13609 

(6) Verrax J et al.: Pharmacologic concentrations of ascorbate are achieved by parenteral administration and exhibit antitumoral effects. Free Radic Biol Med 2009 Jul 1; 47(1): 32-40

(7) Creagan ET et al.: Failure of high-dose vitamin C (ascorbic acid) therapy to benefit patients with advanced cancer. A controlled trial. N Engl J Med 1979 Sep 27;301(13):687-690

(8)Moertel CG et al.: High-dose vitamin C versus placebo in the treatment of patients with advanced cancer who have had no prior chemotherapy. A randomized double-blind comparison. N Engl J Med 1985 Jan 17; 312(3):137-141

(9) Jacobs C et al.: Is there a role for oral or intravenous ascorbate (vitamin C) in treating patients with cancer? A systematic review. Oncologist 2015 Feb; 20(2): 210-223

(10 https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/komplementaermedizin/ 

(11) https://www.cancer.gov/research/key-initiatives/ras/ras-central/blog/2020/yun-cantley-vitamin-c

(12) Ohno S et al.: High-dose vitamin C (ascorbic acid) therapy in the treatment of patients with advanced cancer. Cancer Res 2009 Mar; 29(3): 809-815

(13) Nauman G et al.: Systematic Review of Intravenous Ascorbate in Cancer Clinical Trials. Antioxidants (Basel) 2018 Jul 12; 7(7): 89

(14) Mohseni S et al.: Effect of vitamins C and E on cancer survival; a systematic review. Daru 2022 Dec; 30(2): 427-441 

(15) Fritz H et al.: Intravenous Vitamin C and Cancer: A Systematic Review. Integr Cancer Ther 2014 Jul; 13(4): 280-300

(16) Bazzan AJ et al.: Retrospective Evaluation of Clinical Experience With Intravenous Ascorbic Acid in Patients With Cancer. Cancer Ther 2018 Sep; 17(3): 912-920

(17) Zasowska-Nowak A et al.: High-Dose Vitamin C in Advanced-Stage Cancer Patients. Nutrients 2021 Feb 26; 13(3): 735