Vitamin D3 – zwischen Erwartung und Evidenz

Schon längst geht es bei Vitamin D3 nicht mehr nur um dessen traditionelle Bedeutung für die Knochengesundheit. In den letzten Jahren konnten viele weitere positive und durch Studien belegte Vitamin-D3-Effekte gezeigt werden, so dass ein regelrechter Hype um den Biofaktor entstanden ist. Allerdings sind – insbesondere im Hinblick auf klinische Studien – auch Daten veröffentlicht worden, die den Nutzen nicht bestätigen konnten. Eine Erklärung für diese inkongruente Studienlage und teils geringe Evidenz gibt der vorliegende Beitrag.

Zahlreiche Beobachtungsstudien zeigen signifikante Korrelationen zwischen dem Auftreten verschiedener extraskelettaler Krankheiten wie Krebs,1,2,3 kardiovaskuläre Erkrankungen,4 Atemwegsinfektionen, Asthma5 oder Autoimmunerkrankungen6 und einem Vitamin-D3-Mangel. Und ein solcher Vitamin-D3-Mangel ist gar nicht so selten: Laut Robert Koch-Institut liegt die Prävalenz bei Erwachsenen bei knapp 60 %, wenn als Referenzwert ein Calcidiolspiegel (25(OH)D3) von 20 ng/ml bzw. 50 nmol/l berücksichtigt wird.7

Diese Daten gaben Anlass zu Interventionsstudien, in denen der Nutzen einer Vitamin-D3-Supplementierung auf die genannten Krankheiten geprüft werden sollte. Vor allem im Hinblick auf potentielle Vitamin-D3-Effekte bei Krebs und Herzerkrankungen sind in den letzten Jahren verschiedene Interventionsstudien durchgeführt worden – allerdings nicht immer mit einem eindeutigen Ergebnis.8,9

Fehler im Studiendesign?

„Der Nachweis einer klinischen Relevanz von Vitamin D3 scheitert oft am Studiendesign. In viele randomisierte placebokontrollierte Interventionsstudien wurden Probanden eingeschlossen, die überhaupt keinen Vitamin-D3-Mangel aufwiesen. Bei der viel diskutierten VITAL-Studie beispielsweise hatten zu Studienbeginn lediglich 12,7 % einen Calcidiol-Serumwert unter 20 ng/ml. Und erwartungsgemäß waren hier die präventiven Effekte einer Vitamin-D3-Supplementation im Hinblick auf Krebs oder kardiovaskuläre Erkrankungen nicht signifikant“, erklärt Prof. Stefan Pilz, Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie der Medizinischen Universität Graz und Mitglied des wissenschaftlichen Beirates der Gesellschaft für Biofaktoren e. V. (GfB).

Tagesdosis von 2.000 IE Vitamin D3 gilt als sicher

Bei der Bewertung der Ergebnisse der VITAL-Studie10,11 ist also zwingend zu berücksichtigen, dass über 85 % der Studienteilnehmer zu Beginn überhaupt keinen Vitamin-D3-Mangel aufwiesen. Auch die überwiegende Mehrheit weiterer randomisierter kontrollierter Vitamin-D3-Studien beschränkte ihre Populationen nicht auf Personen mit Vitamin-D3-Mangel, und einige erlaubten sogar eine moderate Vitamin-D3-Ergänzung in den Placebogruppen.12 Bei Calcidiolspiegeln über 20 ng/ml bzw. 50 nmol/l ist jedoch der Nutzen einer Supplementation des Biofaktors nicht mehr erwartbar und erkennbar. Insgesamt unterstreichen diese Ergebnisse daher die Notwendigkeit, nur einen „echten“ Vitamin-D3-Mangel zu behandeln.13

„Trotz der berechtigten Kritik am Studiendesign liefern Studien wie die VITAL-Studie wichtige Daten – und zwar hinsichtlich der Sicherheit einer Vitamin-D3-Suppplementierung. Selbst in einer bereits so gut versorgten Population wie bei der VITAL-Studie hatte die Supplementation von 2.000 IE pro Tag keine negativen Effekte“, betont Prof. Pilz. Auch Daten aus anderen Interventionsstudien mit relativ hohen Vitamin-D3-Dosen zeigten in der überwiegenden Mehrheit keine Sicherheitsprobleme. Und was ebenfalls hervorgehoben werden sollte: Eine Vitamin-D3-Supplementierung zeigt durchaus positive Effekte auf das Krankheitsgeschehen, wenn in den Studien Probanden mit einem nachgewiesenen Vitamin-D3-Mangel berücksichtigt wurden.14,15

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Lesen Sie auch das Review:

J. Frank, K. Kisters, OA. Stirban, S. Lorkowski, M. Wallert, S. Egert, MC. Podszun, JA. Pettersen, S. Venturelli, HG. Classen, J. Golombek.:

The role of biofactors in the prevention and treatment of age-related diseases. Biofactors 2021; 47: 522-550

https://iubmb.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/biof.1728

 

Literatur


(1) Zhou J et al.: Associations of vitamin D status with colorectal cancer risk and survival. Int J Cancer 2021 Aug 1; 149(3): 606-614

(2) Maalmi H et al.: Serum 25-hydroxyvitamin D levels and survival in colorectal and breast cancer patients: Systematic review and meta-analysis of prospective cohort studies. Eur J Cancer 2014 May; 50(8): 1510-1521

(3) Maalmi H et al.: Association between Blood 25-Hydroxyvitamin D Levels and Survival in Colorectal Cancer Patients: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. Nutrients. 2018 Jul; 10(7): 896

(4) Pilz S et al.: Role of vitamin D in arterial hypertension. Expert Rev Cardiovasc Ther 2010 Nov; 8(11): 1599-1608

(5) Hall SC et al.: Vitamin D and Bronchial Asthma: An Overview of Data from the Past 5 Years. Clin Ther 2017 May; 39(5): 917-929 

(6) Dankers W et al.: Vitamin D in autoimmunity: molecular mechanisms and therapeutic potential. Front Immunol 2017 Jan 20; 7: 697

(7) www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Vitamin_D/Vitamin_D_FAQ-Liste.html

(8) Pilz S et al.: Vitamin D status and arterial hypertension: a systematic review. Nat Rev Cardiol 2009 Oct; 6(10): 621-630

(9) Zittermann A et al.: Vitamin D and Cardiovascular Disease: An Updated Narrative Review. Int J Mol Sci 2021 Mar 12; 22(6): 2896

(10) Manson JE et al.: Principal results of the VITamin D and OmegA-3 TriaL (VITAL) and updated meta-analyses of relevant vitamin D trials. J Steroid Biochem Mol Biol 2020 Apr; 198: 105522

(11) Chandler PD et al.: Effect of Vitamin D3 Supplements on Development of Advanced Cancer: A Secondary Analysis of the VITAL Randomized Clinical Trial. JAMA Netw Open 2020 Nov 2; 3(11): e2025850

(12) Pilz S et al.: Critical Appraisal of Large Vitamin D Randomized Controlled Trials. Nutrients 2022 Jan 12; 14(2): 303

(13) Sutherland JP et al.: Vitamin D Deficiency increases mortality risk in the OK Biobank. Annals of Internal Medicine 2022, doi.org/10.7326/M21-3324

(14) Sluyter JD et al.: Effect of Monthly, High-Dose, Long-Term Vitamin D Supplementation on Central Blood Pressure Parameters: A Randomized Controlled Trial Substudy. J Am Heart Assoc 2017 Oct 24; 6(10): e006802

(15) Keum N et al.: Vitamin D supplementation and total cancer incidence and mortality: a meta-analysis of randomized controlled trials. Ann Oncol. 2019; 30(5): 733-743